Einzelfall

Als Einzelfälle bezeichnen wir Menschen oder Gruppen die Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind, oder in Gefahr schweben diese zu erleiden. Durch Petitionen und vielfältige Aktionen versuchen wir diesen Menschen zu helfen, bzw. deren Situation zu verbessern. Meist bereiten wir Briefe vor, die von Ihnen unterzeichnet an die Verantwortlichen verschickt werden. Die Masse der Briefe, die die Verantwortlichen aus aller Welt erhalten haben schon mehrmals zu einer Verbesserung der Situation von Betroffenen geführt.


Neuer Einzelfall ab Juni 2024!

Die Amnestgruppe Waiblingen wird sich ab Juni 2024 auf die Einzelfallarbeit für den Menschenrechtsanwalt Can Atalay aus der Türkei konzentrieren.

Am 25. April 2022 wurde Serafettin Can Atalay (bekannt als Can Atalay) im Rahmen des Gezi-Prozesses, in dem er neben vielen anderen angeklagt war, zu 18 Jahren Haft verurteilt und gleich im Gerichtssaal verhaftet. Er ist seitdem im Hochsicherheits-gefängnis Silivri inhaftiert.

Hintergrundinformationen zum Einzefall:

Can Atalay (geb. 1976) ist ein prominenter Menschenrechtsanwalt, der sich mit vielen sozialen und politisch brisanten Verfahren befasst hat, wie z. B. dem Prozess wegen der Explosion des Kohlebergwerks Soma im Jahr 2014, bei der über 300 Bergleute getötet wurden, und der Zugentgleisung in Çorlu im Jahr 2018, bei der 24 Menschen getötet und über 300 verletzt wurden.

Während der Gezi-Park-Proteste im Jahr 2013 hat er die Taksim Solidarity und die Istanbuler Architektenkammer als Anwalt vertreten. In der Folge wurde er im Gezi-Verfahren angeklagt.

Der Gezi Prozess gegen Can Atalay und seine Mitangeklagten begann am 24. Juni 2019. Die Staatsanwaltschaft forderte die Verurteilung von 16 Personen zu lebenslanger Haft – darunter Can Atalay, Çiğdem Mater, Ali Hakan Altınay, Mine Özerden, Tayfun Kahraman und Yiğit Ali Ekmekçi – gemäß Artikel 39 des türkischen Strafgesetzbuches (KCK) wegen Beihilfe zum “Versuch, die Regierung der Türkischen Republik zu stürzen und die Regierung durch Anwendung von Gewalt teilweise oder ganz an der Erfüllung ihrer Aufgaben zu hindern” gemäß Artikel 312 des türkischen Strafgesetzbuches (KCK).

Acht Angeklagte, darunter Can Atalay und Osman Kavala, wurden am 18. Februar 2020, beim sechsten Gerichtstermin des Prozesses, freigesprochen, weil keine ausreichenden Beweise gegen die Angeklagten vorlagen. Osman Kavala wurde jedoch nicht wie erwartet freigelassen, er blieb in Haft, jetzt unter der Beschuldigung der Spionage, ohne dass dafür irgendein Beweis vorgelegt wurde.

Am 22. Januar 2021 hob die 3. Strafkammer des Istanbuler Regionalen Berufungsgerichts die Freisprüche im Gezi-Prozess auf und beschloss, die Akte zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.

Am 4. März 2022 forderte der Staatsanwalt beim Gerichtstermin für sechs Angeklagte, darunter Can Atalay, jeweils eine Haftstrafe von 15 bis 20 Jahren wegen “Beihilfe zum versuchten Umsturz der Regierung der Türkischen Republik durch Anwendung von Gewalt”.

Der Verhandlung zur Urteilsverkündung in diesem Prozess fand am 22. und 25. April 2022 statt. Can Atalay und sechs weitere Angeklagte im GEZI-Prozess wurden wegen Beihilfe zum versuchten Umsturz zu je18 Jahren Haft verurteilt und noch im Gerichtssaal verhaftet. Osman Kavala, der als einziger bereits in Haft war, wurde zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen verurteilt.

Die Entscheidung wurde mit Mehrheit getroffen. Einer der Richter kommentierte den Freispruch mit der Bemerkung, er sei der Meinung, dass der inhaftierte Angeklagte Osman Kavala freigelassen und die anderen Angeklagten nicht verhaftet werden sollten, da es nicht genügend Beweise gebe, um die Angeklagten für die ihnen vorgeworfenen Verbrechen zu bestrafen.Die 3. Strafkammer des Istanbuler Regionalen Berufungsgerichts bestätigte am 28. Dezember 2022 die gegen Atalay verhängte Freiheitsstrafe von 18 Jahren. Die 3. Strafkammer des Kassationsgerichts hat am 28. September 2023 über den Einspruch gegen die Urteile entschieden. Während sie die Haftstrafen für Can Atalay, Çiğdem Mater, Tayfun Kahraman, Mine Özerden und Osman Kavala bestätigte, hob sie die 18-jährige Haftstrafe für Ali Hakan Altınay, Yiğit Ali Ekmekçi und Mücella Yapıcı auf.

Can Atalay kandidierte trotz seiner Inhaftierung bei der Parlamentswahl 2023 für die Arbeiterpartei der Türkei in der Provinz Hatay und wurde gewählt. Sein Antrag auf Freilassung aus der Haft wurde am 13. Juli 2023 von der 3. Strafkammer des Kassationsgerichts zurückgewiesen. Nach seinem Einspruch dagegen beim Verfassungsgericht urteilte das Verfassungsgericht am 25. Oktober 202, dass das Recht von Can Atalay gewählt zu werden und sich politisch zu engagieren sowie sein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit verletzt worden sei. Der Streit zwischen den Gerichten  führte zu einer Krise in der türkische Justiz. Am 8. November 2023 gab die 3. Strafkammer des Kassationsgerichts ihre endgültige Entscheidung bekannt, dass Can Atalay rechtskräftig verurteilt sei. Seine Parlamentsmandat wurde aufgehoben.

Amnesty International fordert

  • die ungerechtfertigte Verfolgung zu beenden und
  • die sofortige und bedingungslose Freilassung des Rechtsanwaltes und gewählten Parlamentsabgeorneten Serafettin Can Atalay aus der Haft.

 



Friedensgemeinde SAN JOSE DE APARTADO

Seit mehreren Jahren unterstützen wir die Mitglieder der Friedensgemeinde in Kolumbien, welche aufgrund ihrer politischen Neutralität und Gewaltfreiheit, sowie Landstreitigkeiten immer wieder Übergriffen durch Militär und Paramilitärs ausgesetzt waren und sind.  Die 1997 gegründete Gemeinde ist ein Symbol der Hoffnung für einen friedlichen Weg jenseits der Gewalt in Kolumbien. Seit ihrem Bestehen beklagt die Gemeinde über 900 Menschenrechtsverletzungen. Mehr als 300 Mitglieder der Gemeinde sind bis 2017 entweder ermordet worden oder verschwunden. Die Gewalt gipfelte 2005 – Bei einem Massaker, an welchem Militär und paramilitärische Gruppierungen beteiligt waren, wurden acht Mitglieder der Gemeinde ermordert, darunter drei Kleinkinder. 2013 wurden zwei Militärgeneräle für die Taten angeklagt. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die Gemeinschaft auf rechtlichen Schutz durch die Regierung verlassen kann. Trotz der Auszeichnung von Präsident Santos mit dem Friedensnobelpreis 2016, gehören Menschenrechtsverletzungen, besonders für indigene Minderheiten in Kolumbien zur Tagesordnung.

Mit unseren Aktionen fordern wir das Ende der Übergriffe auf die Gemeinde und die rechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen seit 1997.

Auf der Homepage der Gemeinde können Sie sich (auf spanisch) weiter informieren. Auf den Seiten finden Sie auch einige Videos und Fotos.


Update April 2024:

Sehr geehrter Herr Präsident Gustavo Petro,

am 19.03.24 wurden Nallely Sepúlveda (30) und Édinson David Higuita (14), beide Mitglieder der Friedensgemeinde San José de Apartadó, ermordet. Alle Indizien legen nahe, dass es sich um politisch motivierte Morde handelt. Seit langem werden die Mitglieder der Friedensgemeinde regelmäßig von paramilitärischen Gruppen (EGC) bedroht, ausgeraubt und umgebracht. Personen die Teil der EGC sind bewegen sich frei und ungehindert und mit Waffen ausgestattet in der Öffentlichkeit. Bitte sorgen Sie dafür, dass die Menschen in der Friedensgemeinde San José de Apartadó geschützt und die vergangenen wie aktuellen Morde aufgeklärt werden.

Die Amnestygruppe Waiblingen wird diesen Text als Postkarten an den Infoständen verteilen.
Den Appel können SIe dann direkt unterzeichnen und an den kolumbianischen Präsidenten Petro schicken.

 

 

 


Der Film Chocolat de Paz aus 2016 dokumentiert die Situation der Gemeinde eindrucksvoll und zeigt wie sich das Leben in der Gemeinde durch Fairen Handel und Kooperationen mit dem Ausland und die damit verbundene internationale Beachtung, schrittweise verbessert.

Zeitstrahl der Ereignisse:

Quelle: Amnesty International 2017

21. Juni 2024